Zwischen Kunst und Projektion
Kunst einmal anders erleben

Ist es ein Besuch Wert?
Das Bild können wir uns alle nur zu gut vorstellen. Man befindet sich vor einer wahren Attraktion: die Mona Lisa im Louvre. Doch um sie zu sehen, schaut man über ein Meer von Telefonscreens, von allen Betrachtern, die auch ein Foto machen.
Fotografie von Gustav Klimt: IMAGNO, Austrian Archives, Wien.

Dieses Phänomen erleben wir jeden Tag nur zu oft, sei es bei einem Konzert, wenn man sich im Tram umschaut oder in einem Museum. Und ich selbst bin natürlich auch schon zu oft in dieses Muster getreten. Ein Muster, bei dem man zu fokussiert ist, die Welt auf eine 2D-Welt zu reduzieren. Denn wieso nur erleben, wenn man es auch auf Insta teilen kann? Der Großteil unseres Erlebens findet im 2D statt: Wir schauen den ganzen Tag auf einen Bildschirm, schauen TV, scrollen durch Fotos auf Instagram, und sobald ein schöner Moment in der Realität passiert, machen wir ein Foto davon. Vielleicht ist das der Grund, wieso die Lichtinstallationen in der MAAG Halle so einen anderen Effekt haben. Sie erlauben uns, plötzlich in die 2D-Welt einzutauchen, in unsere Lieblingsbilder einzutauchen und mit allen Sinnen von ihnen umgeben zu sein. Das ist vielleicht paradox, denn im Gegensatz zur Kunst und den Originalwelten passiert das nicht nur auf Öl und Leinwand, sondern wieder durch den gleichen Übeltäter, von dem wir eigentlich weg wollen: den Bildschirm. Bei meinem Besuch der MAAG Halle hat sich eine interessante Diskussion entfaltet, ob wir durch dieses Erlebnis an der Kunst und ihrer Qualität mehr gewinnen oder ob die Integrität und der Wert der Bilder durch das Erleben auf Bildschirmen und nicht auf Leinwand verloren geht.

Ein Spaziergang durch Gustav Klimts Werksammlung
Die Lichtprojektionen transportieren uns auf eine Reise durch Gustav Klimts Leben. Die Show fängt in seinen frühen Lebensjahren an und verfolgt seine Lebensgeschichte und künstlerische Entfaltung. Die Geschichte wird erzählt von den Stimmen zweier Schauspieler, welche in den Rollen von Gustav Klimt und Emilie Flöge durch die Lebensjahre gehen. Gustav Klimt wurde als eines von sieben Kindern in einer ärmeren Familie geboren. Er absolvierte eine Goldschmiede-Ausbildung, deren Einflüsse später zum Symbol von Gustav Klimt wurden und die meisten seiner Werke revolutionär verzauberten. Nach seiner Ausbildung begann Klimt, verschiedene Aufträge für Wandmalereien zu schaffen, so dass wir an den Wänden Klimts eigene Wandmalereien und Frisen in Wien sehen konnten. Anfang 1890 entwickelte sich auch Klimts Stil mit der Etablierung der Epoche des Jugendstils, und diese folgende Zeit produzierte einige seiner bekanntesten Werke. Werke wie "Der Kuss" oder das Porträt von Adele Bloch-Bauer entstanden. Diese sind auf einer riesigen goldenen Fläche kreiert und mit symbolischen Mustern dekoriert. Die Werke sind nicht nur faszinierende Porträts, sondern auch ornamentalische Wunderboxen. Und genau das ist so faszinierend an den Lichtshows: Dass eben genau diese sonst nebensächlichen Elemente nun auch ins Zentrum geführt werden können. Sogar das Gold von Klimt kann sich wortwörtlich materialisieren, in einem von Gold-Paletten umrahmten Raum, wo man fast nicht mehr weiß, was oben und was unten ist. Auch die Ornamente fliegen als Projektionen um den Raum, kreieren Muster und Figuren und füllen den ganzen Raum. Vor allem interessant ist dies bei Gustav Klimt, denn gerade diese Symboliken tragen große Bedeutung, z.B. Symbole der Weiblichkeit und der Männlichkeit. Die Spiralen sind Zeichen des Lebenslaufes, Veränderung und Wachstum, die Blumen als ein Zeichen der Liebe, Schönheit und Vergänglichkeit oder die Kreise als ein Symbol der Ewigkeit und Vollkommenheit. Es sind genau diese Details, welche ohne das Wissen, das das Voice-Over vermittelt und die Illusionen, die sie visuell hervorheben, man die Beziehung zur Kunst und ihrer Bedeutung schnell überblicken kann.
Auschnitt aus Tod und Leben, 1910. Öl auf Leinwand, 180.5 x 200.5 cm. Wien, Leopold Museum.

Eine Zelebration der Weiblichkeit
Daraufhin sieht man das ganze Werk an Porträts von Frauen, für die er so bekannt ist. Bekannte Bilder wie das Porträt von Adele Bloch-Bauer, welches im Zweiten Weltkrieg gestohlen wurde und es sogar in die Welt von Hollywood mit einem Film geschafft hat, werden in Größe gezeigt.
Bildnis Adele Bloch-Bauer II, 1912. Öl auf Leinwand, 190 x 120 cm.
Backfisch, 1917. Öl auf Leinwand, 68 x 55 cm. Piacenza, Galleria Ricci-Oddi.
Bildnis Marie Hennenberg, 1901. Öl auf Leinwand, 140 x 140 cm. Landesmuseum Sachsen-Anhalt.
Das Hauptstück, der Namensgeber der Installation selbst - der goldige Kuss MAAG Halle - wird als nächstes projiziert. Die zwei Liebenden, in die Arme des anderen versunken, werden animiert und verwandeln sich in eine Lichtschau. Ein Symbol der Liebe, die seit Jahren außerhalb der Kunstwelt als das Ebenbild verwendet wird, kann man nun auch ohne einen Besuch in Wien sehen. Wo ich übrigens war und das Bild kaum sehen konnte, nach der niemals endenden Schlange von Menschen, die ein Foto vor dem Bild brauchten (ich musste aber natürlich auch eins machen).
Der Kuss, 1907/08. Öl auf Leinwand, 180 x 180 cm. Wien, Belvedere.

Abschließend erleuchten die projizierten Wände mit Naturbildern. Seine Naturstudien von Blumenwiesen, schimmerndem See und leuchtenden Wiesen füllen den Raum und bringen die Projektionen zu einem farblichen und räumlichen Höhepunkt. Dies balanciert das lehrreiche Erlebnis noch mit seiner halt ebenso präsenten Seite des Erlebnisses und Showbusiness aus und erfüllt die Sinne.
"Wo sind denn alle Bilder?"
"Das ist doch keine Kunst!"
Eindruck
Man kann argumentieren, dass man den wahren Wert der Gemälde in diesen Lichtausstellungen verliert, da man eigentlich nur projizierte Fotos anschaut. Meiner Meinung nach ist diese Argumentation jedoch unfair. Die Argumentation, dass es nicht so ist wie bei echten Bildern, stimmt natürlich, ist aber am falschen Platz. Diese Art der Installation füllt eine Lücke im Erlebnis der Kunst, die zuvor frei war. Plötzlich kann man Kunst viel persönlicher erleben, losgelöst vom Museumsraum und der Menschenmenge, die gerade das Museum besucht. Man kann die Welt um sich herum vergessen und sich nur auf das Bild konzentrieren.



Zugänglichkeit für alle
Die Jungfrau 1913. Öl auf Leinwand, 190 x 200 cm. Prag, Narodni Gallerie.

Keine Hürden
Was ich auch sehr spannend finde, ist, wie diese Art der Installation jegliche Hürden und Einschränkungen für Menschen verschwinden lässt. So können Menschen, für die ein normales Kunstmuseum nicht passend ist, die Kunst erleben. Einerseits gibt es keine körperlichen Hürden, da der Raum rollstuhl- und gehbehindertengerecht zugänglich ist und man nicht lange stehen muss. Jeder kann sich genau so bewegen, wie er will. Ob man herumläuft und den Raum aus verschiedenen Winkeln betrachtet, auf Bänken, Tribünen oder am Boden sitzt oder sogar auf Sitzsäcken liegt - alles ist möglich. Auch Seh- oder Aufmerksamkeitsprobleme können so gelöst werden, da man nicht mehr darauf angewiesen ist, genau vor dem Bild zu stehen oder sonst nichts zu sehen. Wer vielleicht nicht der Beste darin ist, lange vor einem kleinen Bild zu stehen, wird durch die visuellen Effekte, die Narration oder die Musik geführt.

Sehr speziell sind vor allem die Erlebnisräume, die inmitten der Ausstellung eingebaut wurden. So gibt es beispielsweise ein Bett, auf dem man liegen kann, und man kann die Projektion auf allen vier Seiten bis zur Decke sehen, fast als würde das Bild auf einen regnen. Auch interessant ist der goldene Raum, der kleine Goldplatten an den Wänden hat und fast wie eine optische Täuschung wirkt.

Gerade für Familien, Kinder oder auch Senioren finde ich diese Ausstellung fantastisch. Sie erlaubt es ihnen, die Welt der Kunst persönlich und frei zu erleben.
Nicht nur Kunstinteressierte, für die die Natur der Museumsausstellung vielleicht nicht ansprechend ist, können davon profitieren, sondern auch eigentlich nicht Kunstinteressierte. Einerseits benötigt man kein Vorwissen. Durch die Narration der Schauspielerstimmen lernt man alle wichtigen Fakten und bekommt ein gutes Basiswissen davon, was man eigentlich betrachtet. Doch was die Technologie auch ermöglicht, ist, dass das Auge des Betrachters regelrecht durch das Bild geführt werden kann. Gerade bei Klimt, bei dem kleine ornamentale Muster viel Symbolik tragen, aber vielleicht sonst untergehen würden, können sie so als eigene Werke inszeniert werden und ganze Wände füllen.

Besuchen sie hier das YouTube Video der MAAG - Halle
Herzlichen Dank an MAAG-Halle für die Bildrechte
Geschrieben von Alessia Heim
Universität Zürich - FS2023
